Musik ist nicht wertlos: Hintergründe

Vor wenigen Tagen erstellte ich eine Online-Petition mit dem Titel „Musik ist nicht wertlos – Quo Vadis, Musikstadt Wien?“. Der konkrete Auslöser war eine Aktion der Wiener Linien und der Wiener Stadträtin Ulli Sima, bei der Musikerinnen und Musiker angesprochen wurden und deren Bedingungen ich respektlos und nicht akzeptabel fand. In den ersten vier Tagen wurde die Petition bereits über 1900 Mal unterzeichnet, ich stehe mit meiner Meinung also nicht alleine da und bin den vielen Menschen für ihr Engagement dankbar.

Über die Petition kam ich mit vielen Menschen ins Gespräch und wurde immer wieder gefragt, was eigentlich deren Ziel sei, bzw. ob und wie sich ihr Erfolg oder Misserfolg auswirken würde. Die zweite Frage war die nach meiner persönlichen Motivation. Beide Fragen möchte ich hier beantworten.

Für die Petition musste ich einen einzelnen Adressaten und eine konkrete Forderung angeben. Da Stadträtin Ulli Sima als offensichtliche Schirmherrin des Projekts explizit genannt wurde und es in einem Promo-Video auch persönlich bewirbt  („…denn bei uns dürfen nur die Besten spielen…“), ist sie die Empfängerin der Petition. Im Beschreibungstext sprach ich auch Stadtrat Mailath-Pokorny an, denn für meine Begriffe tangiert Musik auch im öffentlichen Raum das Kulturressort.

Die Forderung selbst ist knapp formuliert:
„Ich fordere Frau Sima auf, sich klar von diesem ausbeuterischen Konzept zu distanzieren und umgehend für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen. Ebenso fordere ich den Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny zu einer Stellungnahme auf – diese
Angelegenheit berührt unzweifelhaft sein Ressort.“

Isoliert betrachtet ist die erste Frage also einfach zu beantworten: wenn die Teilnahmebedingungen für die „Wiener U-Bahn-Stars“ so verändert werden, dass teilnehmende Musikerinnen und Musiker unter fairen und korrekten Bedingungen auftreten können, ist das Petitionsziel erfüllt. Bleiben sie unverändert, wurde das Ziel verfehlt.

Die Antwort auf die zweite Frage dauert etwas länger: meine Motivation, die der ersten Frage auch ihren Kontext gibt, liegt in der allgemein äußerst problematischen wirtschaftlichen Situation der Musikschaffenden, nicht nur in Wien und auch nicht nur in Österreich. Ich bin kein Gesandter der Straßenmusik, mir geht es um die gesamte Musikszene. ProfimusikerInnen sind heute mit Arbeits- und damit Lebensbedingungen konfrontiert, die mit „Prekariat“ nur unzureichend beschrieben werden können. Prekär sind inzwischen viele Arbeitsverhältnisse, aber Musikerinnen und Musiker verelenden. Ihre Einkommen sind geradezu lächerlich gering. Das lässt sich wahrscheinlich nicht von heute auf morgen verändern, aber zumindest das Bewußtmachen des Problems und der – auch öffentliche – Diskurs sollte uns Musikschaffenden, aber auch allen Menschen die Musik lieben und als Teil ihres Lebens betrachten (somit dem Großteil der Gesellschaft) ein wesentliches Anliegen sein.

Wer sich für Musik als Beruf entscheidet, nimmt wirtschaftliche Abstriche und Risiken in Kauf, das ist keine neue Erkenntnis. Mit Musik wird man, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht reich. Wer Geld liebt, sollte lieber etwas anderes mit seinem Leben anfangen.

Dennoch ist Musik in unserer verdienstleisteten Zeit eben auch das: eine Dienstleistung. Man kann es an zahlreichen Institutionen studieren und als freies Gewerbe ausüben. Diese Leistung ist sehr gefragt, nur bezahlen will sie kaum noch jemand. Es ist völlig absurd: heute sind Dienstleistungen einfach überall und alles hat seinen Preis – nur Musiker sollen ihre Leistung grundsätzlich gratis erbringen. In keiner anderen Branche wäre soetwas denkbar. Versuchen wir doch einmal, Rechtsanwälten, Elektrikern, Automechanikern, Zahnärzten, Steuerberatern und den jeweiligen -innen ihre hochspezialisierten Leistungen um eine unverbindliche Spende abzukaufen– mit der Argumentation, dass ihnen ihre Arbeit doch auch Spaß mache und möglicherweise in Zukunft bezahlte Folgeaufträge winken könnten und außerdem: es werde ja niemand dazu gezwungen und man kenne jemanden, der das eh gerne in seiner Freizeit mache. Eine lächerliche Vorstellung, niemand, absolut niemand würde sich darauf einlassen. Leistung kostet und das wird allgemein akzeptiert. Außer eben bei Musikern.

Einen Beruf zu erlernen erfordert immer einen beträchtlichen Einsatz von Zeit, Energie und Geld. Im Unterschied zu den meisten anderen Studienrichtungen, bzw. darauf aufbauenden Karrieren benötigen Musikerinnen und Musiker allerdings auch noch besonderes Talent, die Ausbildungszeit dauert Jahrzehnte anstatt Jahre, lebenslanges Lernen (und Üben) ist tatsächlich zwingende Realität und nicht nur eine Worthülse, und die Investitionskosten in das Arbeitsgerät (Instrumente und Equipment) übersteigen jene vieler anderer freier Berufe deutlich. Die Hürden sind also sehr hoch, aber das nehmen Musikschaffende in Kauf. Hätten uralte Vorstellungen wie „Akademiker mussten lange studieren und viel lernen, daher werden sie gut bezahlt.“ jemals Richtigkeit besessen, wären Musikschaffende traditionellerweise immer finanziell gutgestellte Menschen gewesen. Zu einer tatsächlichen monetären Abgeltung des enormen Aufwands hinter einer Musikerlaufbahn wird es wohl niemals kommen, das wird von der großen Liebe zum Tun auch teilweise kompensiert. An einer „normalen“, anständigen, wenigstens durchschnittlichen Vergütung – und zwar im  Vergleich zu anderen freien Berufen (!) – führt aber kein Weg vorbei. Es sei denn, wir als Gesamtgesellschaft verzichten bewußt und dauerhaft auf hochwertige Musik auf professionellem Niveau, dann allerdings in Stadthalle, Konzertsaal, Disco, Festival und Jazzclub gleichermaßen. Bleiben wir auf dem derzeitigen Kurs, wird das Schaffen von Musik nämlich in naher Zukunft nur mehr als Hobby möglich sein und die Möglichkeiten von Hobbyisten sind nunmal begrenzt.

Daraus lässt sich nun doch noch eine kurze Antwort auf die Frage nach meiner Motivation ableiten: ich will die kurzfristig gesteigerte Aufmerksamkeit für das Thema „Musik ist nicht wertlos“ nutzen, um in möglichst öffentlichem Rahmen und möglichst lautstark auf einen Missstand hinzuweisen, der sonst meist unter der Wahrnehmungsschwelle bleibt.

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2 Gedanken zu „Musik ist nicht wertlos: Hintergründe“

  1. Auch ich bin dir und euch sehr dankbar für dein und euer Engagement und du schreibst super klar und erfrischend nüchtern! Als ich von der geplanten Aktion zum ersten Mal gelesen habe war ich so getroffen, dass ich zwischen Wut und Traurigkeit hin und hergerissen, gar nicht in der Lage war klare Worte zu finden! So viel Entwürdigung und Abwertung des Berufs MusikerIn, und ganz ehrlich wohl ausschliesslich der U- MusikerInnen! Hätten sie gleich geschrieben „Hobbymusiker bis 25 only“ dürfen zum Casting antreten – zutiefst peinlich aber wenigstens ehrlich … und überhaupt : das Wort Casting löst bei mir schon Brechreiz aus! Warum eigentlich nicht gleich eine castingshow für die neue Regierung?
    Wer sitzt überhaupt in der Jury bei den Wiener Linien?
    Ich bin so froh, dass du die Kraft und Energie hast die verheerenden Missstände ans Licht zu bringen! Yeah!!! Volle Wertschätzung und Dank!

  2. Vielen, vielen Dank für das großartige Engagement! Respekt! Sehr gut geschrieben! Ich kann dem Inhaltlichen zu 100% zustimmen. Die Petition findet daher meine volle Unterstützung! Bitte weiter so!

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