Rebekka Bakken, 04.07.13, Staatsoper Wien

Das erste Mal habe ich Rebekka Bakken vor etlichen Jahren im Wiener Konzerthaus richtig erlebt. Davor hatte ich einen Auftritt beim Donauinselfest nur am Rande mitbekommen. Ich kann mich sehr gut an jenen Abend im Konzerthaus erinnern. Sie präsentierte damals das „Is that you“-Album und verzauberte den großen Saal mit Präsenz und selbstverständlicher Musikalität. Ich war völlig hingerissen. Sie war damals noch längst nicht so bekannt und schien erreichbar, ich beschloß noch während des Konzerts, dass ich mit dieser Frau musizieren würde. Daraus wurde leider bislang nichts. Dennoch (sic) wurde sie immer erfolgreicher und eine Weile schien es, als würde sie sich in die damals rasant wachsende Riege der skandinavischen Jazzvokalistinnen einreihen. Das tat sie nicht, stattdessen bewegt sie sich seitdem rastlos zwischen Jazz, Pop, Country und Folk hin- und her.

Meine Kollaborationspläne mit Rebekka Bakken musste ich mit ihrer Abreise jedenfalls auf Eis legen (wenngleich ich ihr – in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben, auf einem anderen Planeten – immerhin bei einem Problem mit einem skandinavischen Möbelhändler behilflich war. Auch eine Form von Zusammenarbeit.).
Sie verließ Österreich, zunächst gen Norden, und die folgenden CDs, vor allem „I keep my cool“, überzeugten mich nicht so sehr wie „Is that you“ oder die vorangegangenen Alben mit Wolfgang Muthspiel. Ich bin zugegeben auch kein großer Fan von typischen Studioproduktionen und guten Livemitschnitten meist mehr zugetan.

Umso gespannter war ich auf ihr Konzert in der Wiener Staatsoper im Rahmen des Jazzfest 2013. Die Band, bestehend aus Schlagzeug (anfänglich im Loudness-Modus mit zu scharfen Overheads und zu wuchtiger Kickdrum), Bass, Klavier und zwei Gitarren, betrat die Bühne und legte kurz und bündig den roten Teppich für die Chefin aus. Rebekka Bakken, stets eine organische Melange aus unprätentiös rustikal und ätherisch divenhaft, erschien und machte von vornherein klar, dass sie in musikalischer Mission unterwegs war, nicht auf Popstar-PR-Feldzug.

Nach zwei Songs und zehn Minuten war ich genauso verzaubert wie damals im Konzerthaus. Die seltsame Frau aus dem gar nicht mal so hohen Norden versteht es wie keine zweite, mit ein paar simplen Klavierakkorden, einer mächtigen Hallfahne und sparsamer Melodik eine geradezu zwingende, unglaublich dichte Atmosphäre zu erzeugen. Ihre eigenwillige Stimme bringt unzählige Klangfarben hervor, die Intonation ist schlafwandlerisch sicher, das Phrasing organisch und klar. Ob Popsong, norwegisches Traditional, lyrische Ballade oder Modern Jazz: ich glaube dieser Musikerin. Ich kaufe ihr die musikalische Auffassung ab, genauso wie das ehrlich missglückte Klavier-Intro oder den bad-hair-day-rant. Sie ist echt, unverfälscht, rauh, kantig. Und eine wundersam wunderbare Bühnenerscheinung. Sie ist Diva und Bäuerin gleichzeitig, zieht dem Widerspruch dabei den Boden unter den Füßen weg; alles fließt und macht Sinn.

Rebekka Bakkens Band ist ebenso bemerkenswert; eine eigenwillige Combo der Gegensätze.
Da wäre der Bassist, ein unauffälliger Präzisionsarbeiter. Super tight, ohne jemals aufzufallen oder herauszustechen. Ganz im Gegensatz zum Schlagzeug: extrem individueller Stil (auch optisch) und unverkennbarer Sound auf der einen, merkbare Temposchwankungen auf der anderen Seite. Jedes (jedes) Stück wurde mit dem Schlagzeugeinsatz um gute fünf Prozent schneller. Grenzwertig, vorallem bei Balladen.
Ein Pianist, ein bisschen wie ein Fremdkörper wirkend, aber höchst musikalisch und uneitel.
Zwei Gitarristen wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine bombensicher, absolut routiniert, mit herrlichen, riesigen Cleansounds, wie ich sie in dieser Qualität schon lange nicht hören konnte (Dank an die selbstbewußt musikalische Tontechnik der Oper), dafür phasenweise etwas generisch. Die Antithese auf der gegenüberliegenden Bühnenseite: persönlich, involviert, risikoreich, stets an der Kippe, dafür mit genialischen Momenten.

Das Konzert war großartig und die Aufnahme durch das Publikum adäquat. Rebekka Bakken und ihre Band hätten zweifellos noch lange weiterspielen können. So mussten wir uns mit einem perfekt eingespielten Zugabenblock begnügen, inklusive eines Zuckerls im Wiener Dialekt, das in all seiner Plattheit durch die skandinavische Trockenheit gefiltert am Ende gar nicht mehr platt wirkte, sondern liebenswürdig und respektvoll.

Rebekka Bakkens Musik und Sound ist tendenziell kühl, zeitweise eisig. Gleichzeitig wärmt sie auf elegante und niemals anbiedernde Art das Herz. Eine wahrhaftig außergewöhnliche Qualität. Und ich muss doch ein Projekt mit ihr starten…

beglückend gekühlt,
AY